Vielleicht sollten sich manche Werber, 'New' Economy Evangelisten, sonstige sich selbst gern als Kreative bezeichnende und andere mal überlegen, ob ihr gewolltes Image auch nur ansatzweise zum eigenen Befinden passt. Wer auf der einen Seite ganz wild derzeit angesagte Modetrends (nach)predigt, wird sich in wirklich wilden Fahrwassern ganz sicher nicht wohl fühlen können. (Die selbsternannten 'Evangelists' - man suche einfach mal z.B. bei Xing nach ihnen - wären eigentlich ein Thema für sich, selten haben sich Menschen freiwillig so öffentlich stolz zur eigenen Dummheit bekannt. Bei Gelegenheit mal mehr dazu.)
Gentrifizierung und Gewalt
Angesichts des [eigentlich auch absehbaren] Verlaufs des Schanzenfestes vom 12.9. ist das Thema der Viertelaufwertung nun in ganz neue Ebenen hochgekocht, neue und aber auch noch verbliebene alte Bewohner des Viertels äußern grob Zusammengefasst öffentlich Zustimmung zum medialen Unmut über die linke Szene im Viertel und die 'Gewaltorgien' vom Schanzenfest, mit dem Tenor jetzt sei es aber wirklich mal genug, usw.
Obendrein schwimmt auf diesem Fahrwasser dann sogar noch Kulturinvestor Klausmartin Kretschmer mit, der sich selbst gern als selbstlosen Gönner präsentiert (und von den hiesigen Springerblättern präsentieren lässt), sich aber, öffentlich bekannt und in der Presse natürlich selten erwähnt, einen stattlichen Millionengewinn mit dem Verkauf der Flora ausrechnet, sobald die Stimmung im Viertel genug gekippt ist einen Vorstoß in die Richtung wagen zu können. Davon gab's diese Woche sogar dann auch nicht zufällig eine kleine Kostprobe in einem seiner seltenen Interviews:
Alles hat seine Zeit ... und diese macht auch vor der Roten Flora nicht halt.Das kann einzig als Testbohrung aufgefasst werden, wie lang noch Zeit ist, um einen gewinnbringenden Verkauf endlich zu veranlassen. Dass er sich selbst mit den Besetzern auseinandersetzen wollen wird, ist dabei nicht zu erwarten, vielmehr wird er diese Schmutzarbeit den Käufern überlassen und anschließend fein raus sein, obendrein sogar sagen können, dass er die - dieses Jahr nebenbei erwähnt seit 20 Jahren bestehende - Selbstverwaltung des Gebäudes und seiner Nutzerinnenstruktur selbst nie angetastet hätte.
Mit Abschließung der Einstufung des Schanzenviertels als Sanierungsgebiet in diesem Sommer, wird noch zusätzlich Fahrt aufgenommen, und die Veränderungen der letzten 10 Jahre noch schneller als bis dato fortgeführt. Regelmäßig erscheinen Artikel nicht nur in der Lokalpresse zu dem Thema, unzählige Stadtteilinitiativen gründen sich, permanent sind stets mehrere Projekte konkreter Bedrohung ausgesetzt. Doch alle scheint zu verwundern, wenn dies dann in Geschehnissen mündet, die womöglich sogar nicht friedlicher Natur sind, oder gar die "öffentliche Ordnung" stören
So wird heute z.B. berichtet, dass die seit den Neunzigerjahren allseits verhasste STEG eine in unmittelbarer Nähe zum Schulterblatt durch Künstler genutzte Fläche zu veräußern gedenkt, und selbst der benachbarte Spielplatz war bereits häufiger in Bedrängnis und wird zweifelsohne auch zukünftig wieder in solche geraten. Andere Artikel von heute fabulieren über die Prozesse - die man allerorts mittlerweile bekanntermaßen mit dem Terminus Gentrifizierung verbindet - mit dem augenscheinlichen Anspruch von Objektivität, der in Detailfragen dann aber doch unvermeidbar vieles durcheinanderbringt und die (natürlich) nichts anderes als die eigene Position reproduziert - und allerorten wird reflexartig eingestimmt, dass das Schlimme die Gewalt durch erlebnisorientierte Randalierende ist.
Der Wille abseits von irgendwelchen Problemen einfach nur gemeinsam feiern zu können wird überall als Vorstellung formuliert, die das unhinterfragbare Ideal darstellen soll. Protest? Ja, aber bitte nur solang er vor allem eines nicht ist: die Harmonie störend. Eine so harmlose wie banale Formulierung im einer Hamburg1-Talkshow, dass es doch vielleicht irgendwo herrühren wird, wenn Jugendliche sich gezielt eine Polizeiwache aussuchen um diese mit Steinen zu bewerfen, sorgt da bereits für ausreichend Zündstoff und führt zu sagenhaften Titeln und Kommentaren, die, wie immer in deutschen Zeitungen, kein Mensch mit Verstand lesen kann, ohne von Kommentar zu Kommentar ob derartiger Hirnwindungen der Verzweiflung näher zu kommen.
Angesichts solcher Phantasien wundert es auch nur bedingt, dass bei besagtem Interview dann gleich eine Besetzung von dreien gegen einen anberaumt wird, um zaghafte nicht-kleinbei-gebende Äußerungen reflexhaftig mit empörtem Gestus ablehnen zu können.
Angriff auf die Lerchenwache (PK 16)
Die Taz, mittlerweile selbst unsäglicher vortreibender Teil der Gentrifizierungskraft im Viertel dank langfristiger Kooperation mit der Pferdstall GmbH (Regelm. Veranstaltungen der Taz im Haus73 auf der einen, auf der anderen Seite zahlreiche, erstaunlich offen einseitig positive Artikel in der Zeitung über die Projekte der Firma - ich stelle bei Zeiten mal eine Liste zusammen und verlinke die hier um das nicht unbelegt behaupten zu müssen - Update: hier), ist die einzige Zeitung, die (wenn auch nur nebenbei) überhaupt zu erwähnen wagt, dass die Wachen-Angreifer überhaupt gar nicht in Richtung des Festes geflohen sind, was unisono als einzige Begründung für die polizeiliche Zwangsräumung eben jenen Festes tausender Feiernder angeführt und akzeptiert wird.
Obendrein harrte die Gruppe, die zielsicher in Richtung der Wache marschierte, sichtlich überascht, dass sie bei 2000 Polizisten überhaupt in deren Nähe kommen konnte (sonst in Hamburg ein Ding der Unmöglichkeit) erstmal irritiert auf der Kreuzung aus. Und daher ist auch die Zahl der dort Steinewerfenden, nebenbei sei's erwähnt, eher auf ein bis zwei Dutzend zu beziffern denn auf die verbreitete Zahl von 200 Wütenden, die weiterhin auf der Kreuzung rumstehend lediglich das Geschehen beobachteten. Von häufig angeführtem alleinigen bedrängten Verkehrspolizisten wurde von keinem Zeugen bisher etwas gesehen, und angesichts der ruhigen Situation an der Kreuzung und der Tatsache, dass die Polizei bei diesem Fest erstmalig keinerlei Straßensperren stellte, muss die Behauptung erstmal als mindestens unschlüssig eingestuft werden.
Der Einsatzzug, der durchaus aktionsbereit in voller Montur direkt an der Lerchenwache stand, personell problemlos ausgereicht hätte die Angreifer zu vertreiben und kurz zuvor am Abend noch umparkte, so dass die Wagen neben der Wache standen statt davor, machte keinerlei Anstalten bei Steinbewurf durch die kleine aktive Gruppe aus den Wagen auszusteigen. Das Detail wird nirgends erwähnt, dabei lässt sich daran ganz gut ablesen, dass die Geduld am Ende gewesen sein muss und ein selbiges des Festes zusehends polizeilich nach Stunden des Wartens herbeigesehnt wurde. Denn nachdem die Haspa, wie in beinahe jedem Jahr, bereits zuvor eine Scheibe einbüßen musste und die Polizei selbst daraufhin nicht einschritt, war nämlich zu Recht auf allen Seiten davon ausgegangen worden, dass, wenn nicht jemand mal zur Polizei hingeht und denen gehörig die Meinung geigt, der Abend tatsächlich endlich komplett ohne gewalttätigen Protest ausklingen würde.
Sieg oder Niederlage? Und für wen?
Viele nun geäußerte Meinungen behaupten wie selbstverständlich, darin hätte dann ein Sieg für's Viertel, das Fest und gleichzeitig eine Blamage für den Law&Order Innensenator gelegen, der nun so durch die Randale verspielt worden sei. Das ist aber natürlich blanker Unsinn, leider wird nirgends auch nur ansatzweise versucht, diese Annahme argumentativ zu begründen. Denn wie auch immer der Abend realistisch verlaufen wäre, hätte es für Innensenator nie schlechter ausgesehen als jetzt: Ein friedlicher Abend? Er hat durch massive Präsenz erfolgreich eingeschüchtert. Stundenlange Straßenschlachten von frühem Abend an? Massive Präsenz und frühes Einschreiten wie im Juli war richtig.
Eigentlich scheint tatsächlich der einzige Weg, ihn in einem nur schwer als erfolgreich formulierbaren Licht stehen zu lassen der - wenn es denn darum geht - der, den das Fest am 12.9. von sich aus gewählt hat: Der frühe Angriff auf's Fest vom Juli ist nun unwidersprochen als Auslöser für die damaligen stundenlagen Krawalle offengelegt, die Stimmung auf dem Fest selbst war bis zum erzwungenen Ende recht ausgelassen - und selbst mit über 2000 Beamten in unmittelbarer Nähe gelingt es ihm nicht, den Protest aus dem Viertel (egal wie man zu dessen Form nun stehen mag) unter die angestrebte repressive Kontrolle zu bringen. Dass er sich daraus nun mit verzweifelten Formulierungen ("Von einem Strategiewechsel kann keine Rede sein") zu retten versucht, die nicht einmal bei der DPolG Anklang finden, spricht da Bände.
Außerdem sollte zu einer Einschätzung des Festes und vor voreiliger Forderung nach irgendwie gearteten Abschwörungen seitens der Festorganisation, wie sie zu Hauf in Print wie Onlinemedien verbreitet werden, doch im mindesten statt nur einer erkennbaren Abendblattlektüre die ausführliche Stellungnahme des Vorbereitungskreises doch wenigstens überflogen werden. Doch das geht den meisten dann wohl leider doch zu weit, lässt sich Auseinandersetzung mit unliebsamen weil nicht den eigenen Positionen doch so gern einfordern aber nur so müßig selbst durchexerzieren.
Abschließend lässt sich nur wieder darüber wundern, was Leute, die sich - statt z.B. (berechtigt und notwendig) zu fragen, wie schlau es wohl ist, wenn irgendwer ohne zu überlegen Feuer in der Nähe von Wohnhäusern anzündet und ziellos umherirrend Privateigentum zerstört ohne damit sichtlich auf irgendetwas zu reagieren (Tipp: nicht sehr) - nun laut dazu bekennen doch bitte prinzipiell keine Polizei (um Worte wie Obrigkeit oder Staatsmacht zu vermeiden) anzugreifen und bitte Protest egal wogegen und wie berechtigt niemals so zu formulieren, dass er irgendwen stört, sich wohl vorstellen, wenn sie wegen des unangepassten, wilden und zumindest als Utopie weniger unterwürfigem Charme ins Viertel gezogen sind. Vorstellung vom eigenen wilden Selbst und dessen Konfrontation mit auch nur halbseidener Unangepasstheit prallen hier bereits in Weichspülversionen auf unüberwindbare Hürden. Gar nicht auszumalen, würden im Viertel Menschen tatsächlich versuchen ersnthaft 'autonom' zu leben - ein Vorhaben, das in der hiesigen Gesellschaft leider vollends fern von jeder Realität erscheint.
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